Verein oder Gesellschaft? - Die Mitgliederversammlung 2024
Während der diesjährigen Mitgliedertagung saß eine Gruppe jüngerer Menschen beim Mittagessen zusammen. Das Thema während der Mahlzeit drehte sich um die Anthroposophische Gesellschaft und das Zögern der jüngeren Generation, Mitglied derselben zu werden. Die Anthroposophische Gesellschaft, so waren die Anmerkungen, sei ein Verein. Und die Zeit von Vereinen wäre doch wohl vorbei! Die Antwort eines älteren Mitglieds war, dass es sich bei der Anthroposophischen Gesellschaft primär um eine Gesellschaft, nicht um einen Verein handeln würde. Das war offensichtlich eine wesentliche Aussage, denn drei der jungen Menschen nahmen dies zum Anlass, Mitglied zu werden!

Die Schilderung dieser Szene während unserer letzten Vorstandszusammenkunft stimmte mich nachdenklich. Was, so fragte ich mich, ist der Unterschied zwischen einer Vereinsmitgliedschaft und einer Mitgliedschaft in einer Gesellschaft, oder genauer gesagt, in der Anthroposophischen Gesellschaft?
Wir bemühen uns, anlässlich der jährlich stattfindenden Mitgliederversammlung eine Tagung mit einem gesellschaftlich oder für unsere Mitgliedschaft relevanten Thema zu veranstalten. In diesem Jahr ging es um das Thema „Klima“, in den vergangenen Jahren um „100 Jahre Anthroposophische Gesellschaft“ und „Karma“.
Die eigentliche Mitgliederversammlung hat in der Regel zwei Teile: erstens die Regularien, die bei jeder Mitgliederversammlung erfüllt werden müssen, und zweitens das Mitgliedergespräch.
In diesem Jahr wurde der zweite Teil durch verschiedenen Kurzbeiträge mit der Frage „Was ist für mich die Anthroposophische Gesellschaft der Zukunft?“ gestaltet. Gerhard Stocker moderierte fünf Beiträge von Mitgliedern. Anschließend berichtete Matthias Niedermann vom Vorbereitungsstand des Projekts „Steiner-Jahr 2025“. Anlässlich Rudolf Steiners 100. Todestag soll eine Vielzahl von Veranstaltungen stattfinden, mit einer zentralen Jubiläumsveranstaltung auf dem Stuttgarter Schlossplatz, bei der sich die anthroposophische Bewegung in unterschiedlichsten Ausgestaltungen zeigen soll. Sebastian Knust berichtete von dem „Bildungs-Festival 2024“, das über Pfingsten in Schloss Hamborn stattfand. Dazu fanden sich – zusammen mit 50 Ausstellern – über 600 meist junge Menschen ein, die Fragen rund um Zukunft und Beruf bewegten. Außerdem schilderte Sebastian Knust die personellen Entwicklungen der Landesgeschäftsstelle der AGiD, deren Leitung nach der Berentung von Alexander Thiersch zunächst Martiana Behla übernommen hatte. Aus privaten Gründen heraus musste sie die Arbeit leider wieder beenden und Sebastian Knust und Matthias Niedermann übernahmen zunächst gemeinsam und interimsweise die Stelle, unterstützt vom Schatzmeister Julian Schily. Am Schluss dieser Versammlungseinheit trugen Herr Bodack und Frau Buchleitner aus München ihr Anliegen vor, die Soziale Dreigliederung wieder mehr in das Zentrum der Anthroposophischen Gesellschaft zu stellen.
Im ersten Teil stellte Julian Schily den Jahresabschluss vor. Es wurde deutlich, dass in den kommenden Jahren die Gelder aus Erbschaften und Schenkungen, mit denen zum Teil das jährliche Defizit des Verwaltungshaushalts gedeckt und zum anderen verschiedenste anthroposophische Aktivitäten wie Kunst, Jugendarbeit, Tagungen etc. unterstützt werden konnten, in den kommenden drei Jahren nicht mehr in diesem Umfang zur Verfügung stehen werden. Die Mitgliedsbeiträge sind für den bisherigen Bedarf zukünftig nicht mehr ausreichend. Julian Schily bemerkte, dass man in solch einer Situation die Wahl zwischen dem Blickwinkel „Sorge um die Zukunft“ und „Chance für eine Veränderung“ habe. Er selber habe sich für den Chancenblick entschieden, weil man die zurückgehenden finanziellen Möglichkeiten auch begrüßen könne. Positive Veränderung würde häufig durch vorher entstandenen Mangel entstehen.
Der Vorstand, bestehend aus Monika Elbert, Gerhard Stocker, Julian Schily, Tom Tritschel und Christine Rüter, wurde entlastet. Julian Schily wurde als Schatzmeister bestätigt und Klaus-Peter Freitag neu in den Vorstand gewählt. Antje Putzke wurde in Abwesenheit verabschiedet, sie schied schon im Verlaufe des vergangenen Jahres aus beruflichen Gründen aus. Alexander Thiersch, der im Februar in die wohlverdiente Rente gegangen war, wurde ebenfalls verabschiedet. Ein herzlicher Dank an beide für ihren Einsatz für die Anthroposophische Gesellschaft sei an dieser Stelle noch einmal im Namen des gesamten Arbeitskollegiums ausgesprochen!
Ergebnis der Wahl in das Arbeitskollegium
Ausgegebene Stimmzettel: 80 | Abgegebene Stimmzettel: 78
Klaus-Peter Freitag: Ja 77 | Nein 0 | Enthaltung 1 | Ungültig 0
Julian Schily: Ja 74 | Nein 0 | Enthaltung 4 | Ungültig 0
Schaut man sich den rein formalen Teil der Mitgliederversammlung an, dann unterscheidet ihn wenig von Versammlungen anderer Vereine. Hatten die eingangs erwähnten jungen Menschen mit ihrer Einschätzung recht, dass wir ein Verein sind, der noch nicht bemerkt hat, dass die Zeit der Vereine vorbei ist? Braucht es zukünftig freiere menschliche Zusammenschlüsse? Oder gibt es vielleicht eine Berechtigung, sich in dem Kleid eines Vereins zu bewegen? Und wenn ja, welche wäre das? In den vergangenen Jahren ist der Ruf – vor allen Dingen durch die nachwachsende Generation – nach dem Neu-Ergreifen der Sozialen Dreigliederung lauter geworden. Es wurde beispielsweise ein Film zu diesem Thema gedreht, es gibt eine selbst organisierte Ausbildung und auf jeder von mir besuchten Tagung taucht dieses Thema in irgendeiner Weise auf. Was ist das dahinterstehende Bedürfnis? Meiner Beobachtung nach wird nach mehr Freiheit im Geistesleben, nach einer kultivierteren Verabredungs- und Sozialkultur und nach einer gerechteren Verteilung wirtschaftlicher Güter gesucht.
Wenn ich auf unsere Anthroposophische Gesellschaft schaue, würde ich von einer Gemeinschaft von Menschen sprechen, die sich für die Pflege und Entwicklung der Anthroposophie zusammengefunden hat. Dafür braucht es die Entwicklung von neuen Ideen und die Achtung und Wertschätzung des Gewordenen. Außerdem ist eine gesunde wirtschaftliche Basis nötig, damit Ideen und Initiativen eine äußere Gestalt bekommen können. Und natürlich sind gesunde Verabredungs- und Kommunikationswege notwendig. Die äußere Form für das beschriebene gesellschaftliche Leben ist in unserem Falle der Verein. In seinen Statuten wird die Idee oder der Zweck der Anthroposophischen Gesellschaft, die Verteilung der vorhandenen Güter und der zwischenmenschliche Umgang beschrieben. Damit ist dies so lange festgelegt, bis die Gemeinschaft der Mitglieder eine Änderung beschließt. Je größer eine Gemeinschaft ist, desto wichtiger sind festgelegte Verabredungen. Ohne Verabredungen zerfallen die Ideen in Einzelinterpretationen, die zu verteilenden Gelder werden unter Umständen ungerecht oder selbstbezogen verteilt und an die Stelle verlässlicher Verabredungen tritt Willkür. Die jährliche Mitgliederversammlung dient der Frage: Stimmen unsere Verabredungen bezüglich unserer Ideen, Geldverteilung und Verabredungen noch oder wollen wir etwas ändern und entwickeln? Wird diese Frage zu wenig ergriffen, dann dient der Verein nicht mehr der Gesellschaft, sondern die Gesellschaft dient dem Verein und reduziert sich immer mehr zu verhärteten Regularien.
Vielleicht können wir die kommende Jahrestagung und Mitgliederversammlung, die vom 20. bis 22. Juni 2025 in Hamburg stattfinden wird, dafür nutzen, die Frage nach einem nächsten Entwicklungsschritt für die Anthroposophische Gesellschaft in Deutschland zu stellen, sodass die Gemeinschaft der sich für die Anthroposophie einsetzenden Menschen und ihr Vereinskleid wieder besser zusammenwachsen können. Wir möchten Sie schon jetzt sehr herzlich zur Teilnahme und Mitarbeit einladen.
Christine Rüter | AGiD, Vorstandsmitglied