Verfassung als Gespräch - Die AAG auf dem Weg zu neuen Statuten
Der Konvent, der im April dieses Jahres von der Generalversammlung eingesetzt wurde, hat bereits seine vierte mehrtägige Klausur zur Zukunftsgestaltung der Allgemeinen Anthroposophischen Gesellschaft durchgeführt. Die intensive Arbeit zeichnet sich durch eine gute Vorbereitung mit klarer Zielsetzung aus, meist dienen auch die Kaffee- und Essenspausen der Weiterarbeit in anderem Setting und oft geht es weit in die Abende hinein. Auch übernehmen die Mitglieder des Konvents spezifische Aufgaben zwischen den Treffen, die in Zoom-Gruppen weiterbearbeitet werden. Mit anderen Worten, wir arbeiten mit vollem Engagement an dem anspruchsvollen Vorhaben, unsere Gesellschaft sowohl von ihrem Ausgangspunkt 1923 als auch von ihren Aufgaben aus der Zukunft her zu denken und dafür strukturelle Erneuerungsvorschläge für die sozialen Lebensprozesse zu entwickeln.
Foto: Goetheanum - Gottfried Fjeldsa-unsplash Ziel ist es, zur Generalversammlung 2026 in Dornach einen konkreten Vorschlag zu unterbreiten. Dieser soll dann mit Blick auf die Mitgliederversammlung 2027 in allen interessierten Mitgliedergruppen weltweit besprochen und beraten werden. Denn deutlich ist, dass das Projekt nur zu einem guten Abschluss kommen und damit zur Zukunftskraft werden kann, wenn es von möglichst vielen Menschen mitdurchdacht, mitvollzogen und bewusst mitgetragen werden kann.
Dabei geht es um nichts weniger als darum, die wechselseitige Bedeutung der Anthroposophischen Gesellschaft als Weltgesellschaft und der Freien Hochschule für Geisteswissenschaft am Goetheanum sowie deren Bedeutung und Verbindung mit der Anthroposophischen Bewegung in der Welt neu zu verstehen, in sinnvollen Gliederungen von Autonomie und Verantwortung zur Geltung zu bringen und den Gesamtzusammenhang aus unternehmerischem Verständnis zu gestalten.
Es wird viel davon abhängen, dass die anthroposophisch tätig sein wollenden Menschen an allen Orten die innere und wechselseitige Bedingtheit dieser Zusammenhänge verstehen. Waldorfschulen beispielsweise drohen sich selbst verloren zu gehen ohne den Forschungshintergrund einer Freien Hochschule. Umgekehrt braucht die Freie Hochschule für Geisteswissenschaft eine Strahlkraft bis in die Lebensfelder aller menschlicher Belange auf Erden. Die Freie Hochschule gründet darauf, aus dem freien Willen möglichst vieler Menschen getragen zu werden, die sich weltweit über die Anthroposophische Gesellschaft mit ihr verbinden. So bringen die Mitglieder damit zum Ausdruck, dass sie diese Art von Wirksamkeit der Anthroposophie als moderne Geisteswissenschaft für wichtig erachten.
Es gibt hier ein großes Entwicklungspotenzial, das wir heben wollen, wo jeder und jede Einzelne zählt. Wichtig ist dabei, zu verstehen, welcher Sozialgestaltung es dafür bedarf. Dieser Aspekt steht bei unserem Vorhaben im Vordergrund: eine menschlich-geistige Sozialgestalt unserer Gesellschaft, auf deren Fundament wir aus Freiheit eine tragfähige Gemeinschaft, gebaut auf Initiative, in diesen sehr herausfordernden Zeiten bilden können.
Die übergeordnete Frage „Was ist der Mensch und welche Bedeutung hat er für die Erde?“, die uns, liebe Leserinnen und Leser, wohl alle verbindet, stellt sich heute in zugespitztem Maße. Um hier aus gemeinsamer Kraft wirken zu können, sollten wir mit der Neugestaltung unserer inneren Verhältnisse einen sozialen Raum schaffen für das Zusammenwirken in den genannten drei Strömungen: der Anthroposophischen Gesellschaft, der Freien Hochschule für Geisteswissenschaft und den Lebensfeldern der anthroposophischen Bewegung. Im Mittelpunkt soll hier zukünftig stärker noch das Initiativprinzip stehen: der Einzelseele Kraft in der bewusst gebildeten Gemeinschaft. Das ist es, was uns leitet.
Den von Rudolf Steiner vor mehr als 100 Jahren bei der Weihnachtstagung 1923 gefassten Statuten liegt gewissermaßen eine „Verfassung als Gespräch“ zugrunde: Alles soll auf freie Initiative und freien Zusammenschluss gegründet sein. Durch die gegenseitige Wahrnehmung, der alle Glieder und Organe der Gesellschaft in unterschiedlicher Weise dienen, kann Gemeinsamkeit entstehen. Das je Eigene kann sich so in der Resonanz der Begegnung finden. Ein großer „Gesprächsraum“ zwischen Goetheanum und Mitgliedergruppen weltweit wurde von Rudolf Steiner angestrebt. In diesem Gefüge sollte sich die Hochschule in freier Weise fortbilden können und ein gemeinsames Wollen für Anthroposophie entstehen. Wie können wir hier heute daran anknüpfen, um aus unseren Kräften und Möglichkeiten, aus der Belebung unserer inneren Freiheitsmöglichkeit und aus wachsend-geistiger Reife die Anthroposophie in ihre Zukunft zu führen? Denn sie hat einiges für die gegenwärtigen Krisen der Welt beizutragen: Erkenntnisse vom Menschen in seiner leiblich-seelisch-geistigen Wirklichkeit, von der Erde als unserem Lebensraum, der selbst als Lebewesen im Kosmos seine Heimat hat, und von den Gestaltungsbedingungen des Sozialen als dem gemeinsamen Verantwortungsfeld aller Menschen. Hier liegt die Chance, mit der anthroposophischen Arbeit sichtbar zu werden als Teil der herausgeforderten Menschheit. Liegt nicht hier das Entwicklungsfeld vor uns, das Rudolf Steiner bei der Weihnachtstagung mit den hohen Worten „Welten-Zeitenwende“ angesprochen hat?
Dem will der Konvent zur konstitutionellen Neugestaltung der AAG dienen. Er lebt auch von Ihrer Beteiligung. Alle Mitglieder sind eingeladen, den Erneuerungsprozess mit Interesse zu begleiten oder Arbeitsgruppen dazu zu bilden. Auf der Onlineplattform login.goetheanum.ch (Mitgliedernetzwerk) gibt es die Möglichkeit, eigene Gesichtspunkte einzubringen. Gerne können Sie uns aber auch zu einem Mitgliedertag in Ihren Zweig oder Ihre Region einladen. Schreiben Sie uns gerne an: monika.elbert@agid.de, gerhardsch33@gmail.com
Wir laden Sie herzlich ein: vom 12. bis 14. Dezember 2025 zur Mitgliedertagung am Goetheanum „Auf dem Weg zum Formwandel – für die Kraft der Anthroposophie“ – eine Dialogveranstaltung zwischen Konvent und Mitgliedschaft. Hier kann all das vertieft und weiterbearbeitet werden. Information und Anmeldung: https://goetheanum.ch/de/veranstaltungen/konventdialog2025
Monika Elbert, Gerhard Schuster