ANTHROPOSOPHIE – Stuttgart. Waldorf. Globuli.
Vom 20. Februar bis zum 21. September 2025 zeigt die Ausstellung „ANTHROPOSOPHIE – Stuttgart. Waldorf. Globuli.“ im Stadtpalais die große Vielfalt, die speziell in Stuttgart zu anthroposophischen Themen zu finden war und ist.

In Stuttgart gibt es laut der Ausstellung über 100 Stätten, die einen anthroposophischen Bezug haben. In Deutschland kann keine andere Stadt eine solche anthroposophische „Dichte“ vorweisen. Pünktlich zum Rudolf-Steiner-Gedenkjahr kann man nun die Ausstellung im Stadtpalais besuchen. Die Ausstellung zeigt zunächst Anfänge der Anthroposophie bzw. Theosophie. Fotos von Helena Petrovna Blavatsky und Annie Besant sind zu sehen, auch der bekannte Farbkreis von Goethe ist dabei und ein früher Bezug Steiners zu den Freimaurern wird dargestellt. Persönlichkeiten aus Stuttgart werden genannt und gezeigt, ebenso alte Gebäudeaufnahmen ‒ nicht nur von der Uhlandshöhe ‒ und, und, und. Mit viel Fleiß wurde hier das Material aus verschiedensten Lebensfeldern zusammengetragen. Man erfährt auch einiges über die Anfänge der Waldorf-Bewegung, und nicht ohne Stolz wird festgestellt, dass diese weltweit erfolgreiche pädagogische Reformbewegung ihre Anfänge in Stuttgart genommen hat. Die biologisch-dynamische Landwirtschaft wird ebenfalls vorgestellt, auch wenn deren Anfänge in Koberwitz liegen. Aber auch in der Landwirtschaft gibt es eben viele frühe Bezüge zu Stuttgart. Die Medizin wird gezeigt, ebenso die Christengemeinschaft erwähnt, dazu verschiedene Wirtschaftsunternehmen. Die Informationen sind im Ganzen knapp gehalten. Diese Ausstellung soll den Menschen, die nichts oder wenig mit Anthroposophie zu tun haben, einen ersten Einblick gewähren.
Die Performance der Ausstellung wirkt auf gewisse Weise „museal“. Sie zeigt die Anthroposophie als eine Erscheinung aus vergangenen Tagen. Der Kurator der Ausstellung, Yannick Nordwald, hat unserer Besuchergruppe bestätigt, dass er schnell zu dem Schluss gekommen sei, sich auf die 1910er- und 1920er-Jahre zu beschränken. Die Fülle des Materials wäre sonst viel zu groß gewesen.
Dennoch wäre es schön, wenn auch die Fragen, die der Anthroposophie heute unter den Nägeln brennen, in den Blick genommen würden. Um welche Lösungen zu aktuellen Aufgaben und künftigen Herausforderungen wird zurzeit in anthroposophischen Kreisen gerungen? Auch hat bisher nur eine Mitarbeiterin des Stadtpalais „offiziell“ das Rudolf-Steiner-Haus in Stuttgart besucht. Yannick Nordwald hat uns bestätigt, dass zum Hier und Jetzt und Heute (und zur Zukunft) der Anthroposophie eine weitere Ausstellung stattfinden müsste. Ob sie vom Stadtpalais je einmal verwirklicht wird?
Im Vorfeld der jetzigen Ausstellung fanden in der Stuttgarter Innenstadt Befragungen von Passantinnen und Passanten zu Themen wie Anthroposophie und Waldorfpädagogik statt. Filmaufnahmen hiervon sind in der Ausstellung zu sehen und zu hören. Es ist erstaunlich, wie oft sich die befragten Menschen zuerst äußern, dass sie die Anthroposophie nicht wirklich kennen und den Namen Rudolf Steiner zwar schon einmal gehört haben, aber kaum etwas dazu wissen. Dennoch geben dieselben Menschen im nächsten Satz durchaus Urteile zur Anthroposophie oder zur Waldorfpädagogik ab.
Auch die interessanten Äußerungen ehemaliger Waldorfschüler und Waldorfschülerinnen sowie ehemaliger Waldorfeltern wurden filmisch festgehalten. Schön wäre hier ein Hinweis auf ‒ im positiven Sinne ‒ bekannt oder berühmt gewordene Waldorfschüler und -schülerinnen gewesen. Oder auch auf bekannte oder berühmt gewordene Anthroposophinnen und Anthroposophen. Ein Beispiel: Wenige Hundert Meter entfernt vom Stadtpalais zeigt die Neue Staatsgalerie seit vielen Jahren Werke des Künstlers Joseph Beuys, der einen klaren Bezug zur Anthroposophie hatte. Auch wenn Beuys nicht direkt in Stuttgart tätig war, lassen sich seine Spuren hier finden.
Zum Ausgang der Ausstellung hin werden Schlaglichter auf die Haltung „der Anthroposophen“ zur Coronafrage geworfen. Dass auch innerhalb der anthroposophischen Kreise eine heterogene Meinungsvielfalt zu diesem und im Grunde zu allen Themen herrscht, wird hier weniger sichtbar. Auch der ewige Vorwurf des Rassismus taucht wieder auf. Das ist schade.
Im Stadtpalais fand im vergangenen Jahr die Ausstellung „Not my Hero“ statt. Sie präsentierte Persönlichkeiten, die zu Lebzeiten und darüber hinaus in Stuttgart besonders gewirkt haben, und wie man sich vorstellt, wie diese Persönlichkeiten sich heute in den neuen sozialen Medien inszenieren würden. Unter diesen Persönlichkeiten war auch Rudolf Steiner. Bei einer Führung durch die damalige Ausstellung betonte die Führerin, dass im zigtausend Seiten umfassenden Gesamtwerk Rudolf Steiners nur sechzehn Stellen zu finden seien, die man rassistisch sehen könnte, und das in verschiedener Brisanz. Diese relativierende Einsicht aus dem letzten Jahr hat in der aktuellen Ausstellung kaum Niederschlag gefunden. Allerdings sind die kritischen Töne hier nicht giftig, wie es in den letzten Jahren in der Öffentlichkeit öfters üblich war.
Ende März 2025 fand anlässlich des 100. Todestages von Rudolf Steiner ein dreitägiges Fest im Herzen Stuttgarts auf dem Schlossplatz statt. Dort konnte man in Themenzelten und bei vielfältigen Kulturveranstaltungen Rudolf Steiner und die Anthroposophie (neu) entdecken. Dieses Fest zeigte, wie aktuell Steiners Ideen auch heute sind. Das Motto der Festtage lautete „Vielfalt lieben“, das ist sowohl Anspruch als auch Zielsetzung. Dieses Fest bot eine sinnvolle Ergänzung und vielleicht auch Korrektur des gegenwärtigen Bildes, das in der Öffentlichkeit von Rudolf Steiner, der Anthroposophie und „den Anthroposophen“ gepflegt wird. Zu den vielen wertvollen Informationen der Ausstellung im Stadtpalais sind bei dieser Gelegenheit lebensvolle heutige Erfahrungen hinzugekommen. Darüber haben wir uns gefreut ‒ nicht nur hier in Stuttgart!
Gabriele Arndt, Mitarbeiterin im Rudolf Steiner Haus Stuttgart