Mein Körper gehört mir! Anthroposophie im Gespräch über Organtransplantation
Ende November fand in Mannheim ein Gespräch über Transplantationsmedizin statt mit dem Leiter der Chirurgie am Klinikum der Universität Heidelberg, Prof. Dr. Christoph Michalski, der zugleich für das Transplantationszentrum verantwortlich ist, und Dr. med. Paolo Bavastro, dem anthroposophischen Internisten und Kardiologen, der vielfach zum Thema publiziert hat. Es ging auch im 6. Gespräch dieser Reihe um die Frage, ob und wie anthroposophische Impulse, die vor über 100 Jahren gesetzt wurden, heute noch nachwirken.

Hintergrund des Gesprächs war die Gesetzesinitiative zur Widerspruchsregelung bei Organspenden, die dem Thema zu neuer Aktualität verhalf. Am 5.12.2024 wurde sie in erster Lesung im Bundestag diskutiert. Wer in Deutschland eine neue Niere, Leber, Lunge oder ein neues Herz benötigt, muss meist lange warten. Daraus wird die gesellschaftliche Frage abgeleitet, wie die Spendenbereitschaft für neue Organe erhöht werden könne. Widerspruch oder Zustimmung zur Organspende „nach meinem Tod“ lautet die Alternative. Aber wann ist ein Mensch eigentlich tot? Wie weit reicht die Verfügungsgewalt des Menschen über seinen Körper? Dahinter verbergen sich große politische, soziale, psychologische, ethische und nicht zuletzt menschenkundliche Fragen, die in die Entscheidungen des Arztes bzw. der Ärztin vor, während und nach einer Transplantation kumulieren. Als Moderator dieses Gesprächs wollte ich sie anhand der Frage erörtern, was der Verlust eines Organs für den spendenden Menschen und ein neues, fremdes Organ für den empfangenden Menschen bedeutet.
Prof. Dr. Christoph Michalski beschreibt einleitend, wie eine Transplantation vor sich geht, und hebt hervor, dass ein Organ immer Teil eines Organismus ist. Es zu entfernen oder zu ersetzen habe Auswirkungen auf den gesamten Körper. Dr. Paolo Bavastro ergänzt, dass sich die Eigenheit jedes Organs auch in Redewendungen widerspiegele: Etwas „geht an die Nieren“, eine „Laus ist über die Leber gelaufen“, Nachrichten werden mit „herzlichen Grüßen“ beendet, nicht mit cerebralen. Das deute auf Unterschiede der Organe hin, die bei ihrer Transplantation kaum berücksichtigt würden.
Welche Folgen hat der Verlust eines Organs für den Gesamtorganismus? Am Beispiel der Lebendspende, bei Nieren z. B. möglich, lässt sich das gut erörtern. Für Spender seien sie gering, so Prof. Michalski, aber Berichte von Betroffenen, die nach der Organentnahme mit massiven gesundheitlichen Einschränkungen zu kämpfen hatten, streitet er nicht ab. Etwa mit dem Fatigue-Syndrom, das gelegentlich bis zu einer Berufsunfähigkeit führte. Es könne sich dabei um Nebenwirkungen handeln, wie sie bei jeder OP möglich seien. Entscheidender sei für ihn die Risiko-Nutzen-Abwägung, die vor den OPs zwischen den Betroffenen stattfinden müsse. Wenn psychischer oder sozialer Druck stattfände, könne auch der körperlichen Folgen haben.
Beim Blick auf Organempfänger rückt die Frage in den Vordergrund, ob bei einer Transplantation mehr als nur das physische Organ übertragen werde. Warum sonst sei eine lebenslange Unterdrückung des Immunsystems notwendig, damit das neue, als fremd empfundene Organ nicht abgestoßen wird, fragt sich Dr. Bavastro. Er bezeichnet das Immunsystem als „meine Ich-Individualität im Körperlichen“. Für Prof. Michalski liegt das Problem in der DNA, die individuell unterschiedlich sei. Berichte über Persönlichkeitsveränderungen bei Transplantierten werden besprochen, die Züge ihres Spenders übernahmen, ohne ihn zu kennen. Eine Vegetarierin, die plötzlich Lust auf Fleisch entwickelte, ein Antialkoholiker, den es nach der OP nach einem Bier verlangte. Systematische Forschung dazu findet allerdings kaum statt.
Die Fragen nehmen zu in dem Gespräch, und es zeigt sich, dass hinter medizinischen weitere ethische und existenzielle lauern. Bei postmortalen Spenden muss der Spender tot, das Organ aber lebendig sein. Das gelingt mit der Definition des Hirntods, dem entscheidenden Kriterium für eine Organentnahme in Deutschland: Sind die Funktionen des Gehirns irreversibel ausgefallen, kann ein Mensch für tot erklärt werden mit allen juristischen Folgen. Der diagnostizierte Hirntod aber, so Dr. Bavastro, sei nur der Beginn eines Sterbeprozesses, der mit dem Herz- und Kreislaufversagen sein Ende finde. Die Medizin sei heute nur in der Lage, diesen Prozess zu verlängern. Aber, so Prof. Michalski, umkehren könne sie ihn nicht. Noch nie sei es gelungen, einen Hirntoten zu reanimieren. „Ich kann nur ein intellektuelles Manöver vornehmen und sagen, der Tod wird auf jeden Fall eintreten und deswegen kann ich diese Entnahme machen.“
Damit aber ist das Feld der rein medizinischen Expertise verlassen. „Medizin ist ja keine Naturwissenschaft im klassischen Sinne, sondern es ist eine Kombination aus verschiedenen Dingen: Psychologie, sozialen Wissenschaften, Lebenserfahrung. Und da ist so vieles nicht verstanden, da muss man eben gemeinsam einen Weg finden“, so Prof. Michalski. Dazu könnte auch Geisteswissenschaft Impulse liefern, wie Dr. Bavastro andeutet.