Einige Erlebnisse auf dem Schlossplatz in Stuttgart
Anlässlich des 100. Todestages von Rudolf Steiner fand auf dem Schlossplatz in Stuttgart eine große Veranstaltung stat. In 20 Zelten konnte man die verschiedensten Eindrücke anthroposophischer Lebensart kennenlernen oder wiederentdecken. Hinzu kam eine große Bühne mit kurzen Vorträgen, Podiumsdiskussionen und allerlei künstlerischen Beiträgen. An einigen Ständen konnte man Produkte anthroposophischer Firmen anschauen und kaufen. Es gab zwei Dialogzelte, in denen über verschiedenste Zeitfragen aus Sicht der Anthroposophie gesprochen wurde. Ergänzt wurden sie durch ein Ausstellungszelt zu Rudolf Steiners Leben und Schaffen und ein Informationszelt der Anthroposophischen Gesellschaft. In Letzterem stand ich und beantwortete etwa 9 Stunden lang Fragen der Besucherinnen und Besucher. Neben Informationsfragen wie „Was findet wo wann statt?“ wurden auch ganz andere Fragen gestellt. Von drei besonderen Fragen möchte ich erzählen.

Eine junge Spanierin kam an den Tresen und sagte, dass sie zufällig vorbeigekommen sei. Die Stimmung auf dem Platz sei besonders. Sie würde gerne BWL studieren, ob es wohl auch eine anthroposophische Universität gebe, an der man dieses Fach studieren könne. Ich erzählte ihr von den möglichen anthroposophischen Universitäten und Hochschulen, die sie sich im Internet und dann in natura anschauen könnte.
Ein indisches Ehepaar mit Kind fragte zunächst nach Veranstaltungen für Kinder. Die Frau bemerkte, die Stimmung auf dieser Veranstaltung wäre so besonders und sie sei Chemikerin. Ob in unserer „Firma“ auch solche Fachleute gebraucht würden. Ich bekam ihre Telefonnummer und konnte am nächsten Tag den Kontakt zu einer anthroposophischen Firma, die auf der Suche nach einer Chemikerin ist, herstellen. Die Dame schrieb mir, dass sie sich inzwischen beworben habe.
Ein junger Japaner kam ins Zelt. Er habe drei Fragen. Die erste Frage war, ob ich ihm in einem Satz erzählen könne, worum es in der Anthroposophie gehen würde. Die zweite Frage war: Er habe gerade den Master of Science abgeschlossen und ob es auch wissenschaftliche anthroposophische Ansätze gebe. Und die dritte Frage war: Er habe unser Ausstellungszelt angeschaut, in dem über Rudolf Steiner und sein Leben berichtet würde. In diesem Zelt sei die Frage zu finden: „War Rudolf Steiner Rassist?“ Der junge Mann wollte nun wissen, ob Rudolf Steiner ein Rassist gewesen sei. Ich erzählte ihm, wie ich zu dieser Frage stehe. Es folgte die Frage: „Meinen die Anthroposophen, dass Rudolf Steiner Rassist war?“ Ich verneinte. Darauf fragte er: „Wenn Sie das nicht meinen, warum stellen Sie dann diese Frage?“ „Eine gute Frage“, dachte ich. Ja, warum stellen wir sie? Wollen wir den Kritikern den Wind aus den Segeln nehmen? Wollen wir reflektiert erscheinen? Was wäre, wenn wir unsere Werte beschreiben würden, dasjenige, was die Anthroposophie mit unserem Leben gemacht hat, was wir ihr verdanken, statt uns selber zu bezweifeln? Mit einem veränderten Blick ging ich über den Schlossplatz. Mein vormals skeptischer Blick auf diese Veranstaltung verwandelte sich allmählich: Wie schön ist es, wenn die jungen Menschen von der Jugendsektion und vom Jugendseminar singen und zu Gesprächen einladen. Wie besonders ist es, wenn Eurythmistinnen und Eurythmisten Musik und Sprache in schöne und adäquate Bewegung umsetzen können. Wie herrlich, an dem Gesundheitszelt vorbeizukommen, aus dem der Duft natürlicher Massageöle herausweht. Und wie besonders ist es, wenn Menschen sich in den Dialogzelten auf die unterschiedlichste Art und Weise mit den Fragen des Lebens aus der Sicht der Anthroposophie beschäftigen. Welch einen Reichtum haben wir durch die Anthroposophie und Rudolf Steiner geschenkt bekommen. Mein eigenes Leben ist ohne diese Geschenke nicht denkbar. Von meiner Kindheit bis heute ist mein Leben geprägt und beeinflusst von der Anthroposophie und dafür bin ich unendlich dankbar!
Alle Teilnehmer und Teilnehmerinnen der Schlossplatz-Veranstaltung in Stuttgart bekamen einen Ansteck-Button. Meinen hatte ich ans Mantelrevers gesteckt. Auf meinem Rückweg von Stuttgart in die Nähe von Hamburg musste ich in Hannover umsteigen. Ich begegnete einem jungen Mann, der ebenfalls umstieg. Er sah den Button und fragte, ob ich auch in Göttingen gewesen sei. „Nein“, sagte ich, „ich war in Stuttgart.“ Es stellte sich heraus, dass auch in Göttingen anlässlich des 100. Todestages von Rudolf Steiner eine Veranstaltung auf dem zentralen Marktplatz der Stadt stattgefunden hatte. Die in Göttingen entstandenen anthroposophischen Initiativen hatten sich dort vorgestellt. Gute Stimmung und interessante Begegnungen zeichneten auch diese Veranstaltung aus. „Anthroposophie in der Öffentlichkeit scheint“, so dachte ich auf der Fahrt nach Hause, „entgegen vieler vorheriger Befürchtungen möglich zu sein.“ Vielleicht ist es richtig, dass wir zu unseren Werten und Quellen stehen. Vielleicht müssen wir uns nicht hinter Selbstzweifeln verstecken. Vielleicht war das ein Sinn dieser Veranstaltungen.
Christine Rüter