Offener Wille als Voraussetzung für eine tiefgreifende Transformation
Malika Uhlmann zur ihrer von der AGiD geförderten Forschung "Prozessbegleitung im Reallabor. Für ein tieferes Verständnis der Wirkmechanismen ganzheitlicher Transformation"
Sebastian Knust: Warum hast Du Dein Thema gewählt, was interessiert Dich daran?
Malika Uhlmann: Die Notwendigkeit von Transformation besteht in vielerlei Hinsicht. Mit unserem aktuellen System stoßen wir an Grenzen: Die Grenzen des Wachstums, die Grenzen der Wissenschaft und die Grenzen von Arbeitskraft werden in Krisen wie der Klimakrise, in Krieg, im Verlust von Ökodiversität, in Burnout, Depression und Pandemien sichtbar. Es gilt neue Formen zu finden, die unser Handeln systemisch wieder mit dem Denken, unseren Werten und Überzeugungen verbinden. Wir wissen bereits sehr viel darüber, dass und auch wie wir die Dinge ändern müssen, doch dieses Wissen kommt nur an wenigen Stellen in ein entsprechendes Handeln. Mich interessieren die Zusammenhänge und die Wirkmechanismen hinter den Veränderungsprozessen, die sowohl in persönlichen Prozessen als auch im Kontext von Institutionen relevant sind, um diese Transformation sowohl innerlich als auch im Außen vollziehen und begleiten zu können.
SK: In welchem Zusammenhang steht Dein Thema zur Anthroposophie?
MU: Der Schwerpunkt des Schulungswegs von Rudolf Steiner liegt zu einem großen Teil auf der Schulung des Willens, der ein bewusstes, aus dem Denken heraus entspringendes Handeln erzielt. Die Verbindung zwischen dem Denken und dem Willen ist hierbei essenziell. Wenn das Denken und der Wille getrennt voneinander wirken, führt es hingegen dazu, dass wir entgegen unseren Erkenntnissen zerstörerisch handeln. Die Ausbildung von einem „Offenen Willen“ (Open Will), wie es Otto Scharmer in der „Theorie U“ beschreibt, ist damit Voraussetzung für eine tiefgreifende Transformation. Wie kann ein solcher Wille sowohl im Individuum als auch in Organisationen gebildet werden, ist Gegenstand und Fragestellung meiner Forschungsarbeit.
SK: Hast Du durch die Beschäftigung mit Deinem Thema schon interessante Ideen oder Perspektiven gefunden? Möchtest Du eine oder mehrere mit uns teilen?
MU: In den ersten Monaten meines Engagements am anthroposophischen Gemeinschaftskrankenhaus Havelhöhe in Berlin haben wir als Klimateam des Krankenhauses einen Kurzfilm mit Mitarbeitenden-Interviews zur Klimakrise gedreht und das „3. Klimasymposium Havelhöhe“ organisiert. Die aktive Präsenz am Krankenhaus hat mir ermöglicht, die vorhandenen Strukturen dort besser zu verstehen und erste Ideen zu erhalten, was es in der Organisation braucht.
Es ist wichtig, im Krankenhaus die Dynamiken zu verstehen, zum Beispiel welche Personen einen wichtigen Einfluss durch ihre Perspektiven und Ansichten auf das Gesamtsystem haben. Um Strukturen zu ändern, braucht es dabei Vertrauen in die neu ankommenden Personen, die neue Impulse in das System geben wollen. Eine Leitung, die den Willen der Veränderung verkörpert, hat dabei eine besondere Wirkkraft. Gleichzeitig braucht es die Mitarbeitenden im Kollegium, die diese Energie des Veränderungswillens weitertragen, sodass die Veränderung nicht allein durch Anweisungen oder Regeln von der Leitung herbeigeführt wird.
Eine weitere Erkenntnis liegt in der Wichtigkeit eines Perspektivwechsels von einem rückwärtsgewandten hin zu einem zukunftsgewandten Verantwortungsbegriff, welchen es für mich noch weiter zu erforschen gilt. Es sollte dabei darum gehen, bewusste Entscheidungen für die Zukunft zu treffen und in unserem Handeln der Zukunft zu dienen und nicht so sehr aus dem Schuldgefühl der Vergangenheit heraus zu handeln.
Zum 3.Klimasymposium Havelhöhe | www.youtube.com/watch
Biografischer Hintergrund
Das Forschungsprojekt bringt verschiedene Aspekte zusammen, die in den letzten Jahren eine wichtige Rolle in meinem Leben gespielt haben und die sehr relevant sind für meine weitere Entwicklung: 2018 habe ich meinen Bachelor an der Alanus Hochschule für Kunst und Gesellschaft in Philosophy, Arts and Social Entrepreneurship abgeschlossen. Meine Bachelorarbeit handelt vom Potenzial der „Theorie U“ im Kontext der Schulentwicklung.
Während meines Studiums begleitete ich außerdem mit den Freunden der Erziehungskunst Rudolfs Steiner fünf Jahre lang Menschen, die aus der ganzen Welt nach Deutschland gekommen sind, um hier ihren Freiwilligendienst zu machen.
Nach meinem Bachelor habe ich entschieden, noch einen Master im Bereich der Interkulturellen Kommunikation und Bildung zu studieren. Aktuell schreibe ich meine Masterarbeit zum Thema „Postkolonialer Theorien in der Praxis von interkultureller Bildung“.
2020 gründete ich mit ehemaligen Kommiliton:innen der Alanus Hochschule den regionalen Lebensmittellieferdienst „Himmel un Ääd UG“ (heute „Hofdealer").
Malika Uhlmann, geb. 10.01.1996