Ringen um den richtigen Moment
Eindrücke aus der Michaelsfeier 2022.
Die AGiD unternahm dieses Jahr den zweiten Versuch, ein Michaelsfest in neuer Gestaltung abzuhalten. Vom Michaelsfest des vergangenen Jahres in München hatte ich manches gehört. Ein Fest ohne Tagesablauf, aus dem Moment heraus gemeinsam gestaltet – das klang interessant und ich wollte diese Art gerne auch einmal miterleben, zumal ich von verschiedenen Veranstaltungen der Christengemeinschaft gehört hatte, die ganz ähnlich gestaltet waren. Es schien mir also ein aktuelles Suchen in neuen Formen: die Eigeninitiative hervorhebend ein stimmiges Format für ein Michaelsfest.
Am Dottenfelder Hof versammelten sich vom 1. bis 2. Oktober 2022 ca. 75 Mitglieder, um dieses Fest zu feiern. Der Rahmen war eher der einer „Erwachsenen-Tagung“: Die Zeiten jenseits des eigentlichen Programms wurden eigenständiger, solistischer gestaltet, als ich es auf Tagungen Jugendlicher und junger Erwachsener erlebte, wo die Gemeinschaft stärker auch in den Pausen berücksichtigt wird.
Das Festprogramm war denkbar übersichtlich: Plausch zum Ankommen, Arbeitsgruppen, künstlerischer Abend, Nacht, gedanklicher Morgen, Rückblick.
Beim künstlerischen Abend beobachtete ich vor allem die Dynamik des Geschehens. Abzuspüren, ob ich gerade jetzt den Raum für den eigenen Beitrag ergreife oder ob ich dem Geschehen weiter folge, war die jeden Moment aufs Neue zu treffende Entscheidung. Ein Ringen um den richtigen Moment der Initiative bildete das Grundmotiv des Abends.
Ich erlebte die Stimmung zu Beginn als fast andächtig, von tiefem Ernst getragen. Mehrmals steigerte sich die Schnelligkeit, in der Beiträge aufeinander folgten, und ebbte dann wieder in kurze Momente der Stille ab. Mit Freude hörte ich, wie jede Stille einen ganz anderen Klang hatte. Ob verschiedene Redebeiträge oder Klangimprovisationen – immer bot sich im Nachlauschen etwas anderes. Ich wünschte mir sehr, in diese Stille einmal für einige Minuten hineinzulauschen; doch anderen schien es ein Bedürfnis, den Raum dieser Stille nicht zu groß werden zu lassen. „Pausen“ nannte jemand anderes jene Stillemomente.
Nach einer Weile des Geschehens kam etwas Bewegung in die sitzende Menge, als es galt, Bilder an einer entfernten Wand zu betrachten. Im Laufe des Abends kam die Frage nach dem Humor auf. Die Stimmung lockerte sich in Stufen, und wo vorher Innigkeit und Ernst war, kam nun Leichtigkeit in die Runde.
Ich fand es sehr bereichernd, diese Dimension von Ernst zu Leichtigkeit in dieser Weise zu erfahren. Sie scheint mir eine bedeutende Spielachse der Improvisation zu sein.
Den Griff, eine Künstlerin als Stimmungswächterin zu beauftragen, fand ich stimmig. Sie griff mit Performances und eben der Frage nach Humor in das Geschehen ein. Ich kann mir vorstellen, dass es gut auch drei, vier Stimmungswächter geben könnte, jeder aus seinem Bereich: etwa Performance, Gruppen-Bewegungsspiel, gemeinsames Atmen und Lauschen im Singen.
Am nächsten Morgen war angedacht, dass einige Teilnehmer vorbereitete Gedankengänge mit allen teilten. Die Gedanken sollten in einer Art gehalten sein, die dem Geistwesen Michael zugänglich seien. Ich bin in dieser Hinsicht weder erfahren noch belesen. Doch ich empfand um meinen Kopf eine ungewohnte Wärme – ein Erlebnis, das ich weiter erforschen möchte.
Im Rückblick wurde unter anderem der Wunsch geäußert, während des Festes auch Anstrengung zu erfahren, seinen Körper zu spüren im Einsatz auf dem biologisch-dynamisch wirtschaftenden Dottenfelder Hof – einem Ort, der ganz in einem michaelischen Impuls steht. Mich hat diese Anregung sehr gefreut, da die eigene Beziehung zur Anstrengung, zum Leid meiner Auffassung nach ein Generationscharakteristikum ist. Die junge Generation pflegt diese Beziehung mit einem größeren Interesse für den Prozess, so scheint es mir. Für ein Michaelsfest muss ich mir aber vielleicht nicht ein künstliches „Leid“ suchen, indem ich als hofentfremdeter Städter endlich einmal frühmorgens einen Kuhstall ausmiste, sondern ich könnte im Rahmen des Festes einen erkraftenden Umgang mit den Leiden suchen, die ich ohnehin in mir trage.
Johann Schmiedehausen | Eurythmie-Student und aktives Mitglied des jungen Initiativkreises der AGiD