Die Biographie – ein Fenster des philosophischen Schauens auf eine Individualität
Paulus Schürmann über sein Forschungsprojekt: Heinrich Barth – Grundriss einer Biographie
Seit Beginn dieses Jahres arbeite ich, gefördert durch die AGiD mit einem Forschungsstipendium, an einer Biographie zu Heinrich Barth (1890–1965).
Ich heiße Paulus Schürmann und ich lebe gemeinsam mit meiner Familie auf dem Schürhof, einem alten Demeter-Hof im Oldenburger Münsterland. Meinen Bildungsweg habe ich im Anschluss an die Waldorfschule durch vier Jahre heilerzieherische Arbeit im Camphill Brachenreuthe am Bodensee, drei Jahre Studium der Pädagogik und Philosophie an der Alanus Hochschule und zweieinhalb weitere Jahre Philosophie an der Cusanus Hochschule gehen dürfen. Im Mittelpunkt stehend durchweg die Frage nach dem Menschen – nicht primär nach dem Menschen als ein soziales Wesen, sondern als ein kosmisches Wesen; soll heißen: Wer oder was ist der Mensch im Kontext der ganzen Welt und was sind seine Entwicklungsperspektiven in einer je und je anders vorgefundenen Lebenslage?
Unter diesen Gesichtspunkten begegnete ich im Philosophie-Master (Schwerpunkt: Konzepte von Spiritualität) dem philosophischen Werk Heinrich Barths, das sich in der ganzen ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts und darüber hinaus aufspannt. Zunehmend begann ich, neben der Bedeutung dieses Werkes, auch nach den Zusammenhängen seiner Genese zu fragen – also nach dem Lebenslauf der Individualität, die dieses Werk geschaffen hat. Daraufhin begann und beginne ich zu lernen und zu verstehen, wie tief sich dieser Philosoph Heinrich Barth – stehend in den Umwälzungen der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts – in der Geistesgeschichte des Abendlandes, samt ihren feinen Nebenströmungen, zu verwurzeln weiß; wie sich sein Denken gleich einem sich durch sein Werk hindurchziehenden Gespräch mit den großen Erscheinungen der abendländischen Kulturgeschichte selbstbewusst vollzieht; und wie diese Individualität dadurch – aufleuchtend in ihrer ganzen 75-jährigen Biographie – ein lebendiges In-Erscheinung-treten individuellster und zugleich allgemeinmenschlicher Beweggründe und Menschheitsfragen abbildet.
Heinrich Barth greift, wie auch Rudolf Steiner, Hannah Arendt oder Hans Jonas, zu Beginn und im weiteren Verlauf des jungen 20. Jahrhunderts die Frage nach der menschlichen Freiheit auf. Warum das philosophische Bestreben Heinrich Barths zu demjenigen der Anthroposophie Rudolf Steiners in einer gewissen Nähe liegt, nicht nur aus meiner Perspektive, sondern auch bereits aus derjenigen einiger Gründungsmitglieder der Heinrich Barth-Gesellschaft Anfang der 90er Jahre, ist durch folgende Frage zu erforschen: Inwieweit ist für beide Geister das Wesen der Freiheit mit dem Wesen des Denkens verknüpft und verwoben? Menschliche Existenz bedeutet für Heinrich Barth Erkenntnis dieser Existenz; für Rudolf Steiner liegt die Möglichkeit der Freiheit des Menschen in dem sich selbst bewusst werdenden Denken. Für ein immer wieder neu in Angriff zu nehmendes Verständnis einer Philosophie der Freiheit kann die Auseinandersetzung mit Heinrich Barths Werk von fruchtbarer Bereicherung und Anregung sein; gerade weil Barths Werk historisch weit in das 20. Jahrhundert hineingreift und dadurch die menschlichen Abgründe und Abirrungen eines nach Freiheit strebenden Weges konkret vor Augen hat und zur Sprache zu bringen sucht.
Meine Forschungsfrage lautet denn: Wer war Heinrich Barth und welche Individualität tritt in diesem Lebenslauf in die Erscheinung ihrer Existenz? Oder anders: Komme ich über eine möglichst nah an den Taten sich orientierenden Beschreibung dieser Biographie zu Einsichten in und über die sich darin offenbarende geistige „Gestalt“ – diejenige Individualität also, die sich im Lebenslauf Heinrich Barths zu erkennen gibt? Um Antworten und weiterführende Fragen auf diese Forschungsfrage zu finden, erarbeite ich auf Grundlage von Briefkorrespondenzen, autobiographischen Notizen, Gesprächen mit Zeitzeugen und dem zu großen Teilen noch nicht gesichteten, geschweige denn herausgegebenen philosophischen Nachlass Heinrich Barths bis Ende dieses Jahres eine biographische Skizze, welche Ausgangspunkt für weitere biographische Forschungen, für Editionsprojekte und, wenn möglich, für eine Promotion die Grundlage bilden soll.
Durch das diese Arbeit ermöglichende Forschungsstipendium fühle ich mich – und mit mir wohl auch große Teile der wachsenden Heinrich Barth-Forschung, denen die Ergebnisse zugutekommen – der Anthroposophischen Gesellschaft in Deutschland in Dankbarkeit verbunden.