Initiativen für das Steiner-Jahr 2025
Seit ca. 20 Jahren werden in der anthroposophischen Bewegung immer wieder 100-Jahr-Jubiläen gefeiert. Eines der wichtigsten begehen wir im kommenden Jahr – wenn sich Rudolf Steiners Tod zum 100. Mal jährt. Dabei ist es uns einerseits wichtig, uns mit den Impulsen und der Wirksamkeit Rudolf Steiners auseinanderzusetzen, und andererseits die 100-jährige Entwicklung der anthroposophischen Bewegung in den Blick zu nehmen, die an vielen Stellen den Nachweis der Fruchtbarkeit von Steiners Ideen und Impulsen erbrachte. Im Interview skizziert Matthias Niedermann, welche Initiativen wir bei der Anthroposophischen Gesellschaft in Deutschland für das Festjahr entwickeln und wie sich jeder beteiligen kann.
Sebastian Knust: Das Festjahr Steiner 2025 steht vor der Tür. Was bedeutet das für unsere Arbeit bei der Anthroposophischen Gesellschaft in Deutschland (AGiD) und um welche Haltung geht es bei der Entwicklung von Initiativen?
Matthias Niedermann: Der deutsche Philosoph Peter Sloterdijk charakterisierte bereits 2011 Rudolf Steiner als den „größten mündlichen Philosophen des 20. Jahrhunderts“. Darüber hinaus hat die anhaltende Kritik an der Anthroposophie der letzten Jahre gezeigt, dass Steiners Gedanken und Ansätze auch weiterhin provozieren und für die gegenwärtige Kultur vielfach eine Zumutung darstellen.
Grundsätzlich treten das gelebte Leben sowie die Taten und Werke einer gesellschaftlich relevanten Persönlichkeit nach 100 Jahren endgültig in eine historische Dimension ein. Daraus ergeben sich immer neue Fragen und Aufgabenstellungen. Bei Steiner existiert darüber hinaus das Phänomen, dass seine Ideen und Wirksamkeit in der Vergangenheit auf eine merkwürdige Weise tabuisiert wurden. Gleichzeitig lässt sich sagen, dass Steiners Werk in den letzten 20 Jahren einem Prozess der „Entmystifizierung“ unterliegt und so teilweise auch an Bedeutung bzw. Relevanz verliert. Andererseits ist sein Werk – und davon bin ich überzeugt – relevanter denn je. Ich denke dabei an seinen wissenschaftstheoretischen Ansatz, seine Freiheitsphilosophie und das anthroposophische Menschenbild. Daraus lassen sich auch heute noch evolutionäre Perspektiven für gesellschaftliche und globale Ansätze entwickeln. Das setzt allerdings die Bereitschaft voraus, traditionell-anthroposophische Wege zu verlassen und Neuland zu betreten. Das ist – so viel möchte ich schon mal vorwegnehmen – nicht einfach.
Für uns geht es im kommenden Jahr darum, einen Fokus auf Kernfragen und -qualitäten von Steiner sowie der Anthroposophie zu legen und sie sichtbar und verständlich in der Öffentlichkeit zu vertreten. Ein weiterer Fokus liegt auf der Hinwendung zur Entwicklungsgeschichte Steiners und der Anthroposophie. Dies sollte aus unserer Sicht gewürdigt und gefeiert werden. Ein dritter wesentlicher Fokus ist die gemeinsame Intentionsbildung für die Zukunft.
SK: Steiners Tod 1925 bedeutete ja eine große Zäsur in der Entwicklung der anthroposophischen Ideen und Praxis. Sein Tod wurde zur damaligen Zeit von seinem Umfeld mit großem Bestürzen aufgenommen. Warum?
MN: Eine Zäsur ist in der Biografie Rudolf Steiners und der Entwicklung der anthroposophischen Bewegung sogar schon vor dem März 1925 wahrnehmbar. Die Anzahl an initiativen Mitarbeitern, die sich für anthroposophische Ideen und Praxisansätze einsetzten, steigerte sich kontinuierlich. Die Gründungs-, Beratungs- und Vortragstätigkeit Steiners erreichte in seinen letzten Lebensjahren ein noch heute kaum fassbares Pensum. Steiners Tod war angesichts der Arbeitsbelastung und seiner gesundheitlichen Situation eine aus heutiger Sicht nachvollziehbare Konsequenz.
Und ja, für viele seiner Mitarbeiter stellte der Tod aufgrund ihrer sehr persönlichen und für sie biografisch relevanten Beziehung zu Steiner einen existenziellen Verlust dar, der sich rückblickend als biografischer Schock-Moment bezeichnen lässt. Die letzten Ereignisse um Steiners Tod wurden von dem Personenkreis um ihn herum nur sparsam dokumentiert. Allerdings gibt es viele Zeitzeugnisse, aus denen deutlich wird, wie die jeweiligen Menschen die Todesnachricht empfangen und verarbeitet haben. Das ist für mich eine interessante Signatur, die sich im 20. Jahrhundert in gewisser Weise durch die Auseinandersetzung mit Steiners Werk zieht.
SK: Es war ja nicht ausgemacht, dass sich anthroposophische Ansätze und Praxis weiterentwickeln würden. So hatte Steiner selbst auf die Möglichkeit des „Scheiterns“ des anthroposophischen Impulses hingewiesen. Kannst Du an ein paar Beispielen skizzieren, welche Menschen und Phänomene zu der weiteren Ausgestaltung beigetragen haben?
MN: Ich habe den Eindruck, dass für die weitere Entwicklung der anthroposophischen Ideen und Praxis ab 1925 drei Faktoren relevant wurden: erstens die persönlich erlebte Beziehung zu Steiner, zweitens die sich immer mehr ausdifferenzierende inhaltliche Auseinandersetzung mit den Ideen der Anthroposophie und drittens eine umfassende Kulturarbeit, die bis heute davon motiviert ist, die jeweiligen Probleme und Herausforderungen der Zeit zu lösen. Letzteres wurde insbesondere durch die Ausbreitung der anthroposophischen Praxis in der Kunst, Bildung, Landwirtschaft und Medizin geleistet.
Darüber hinaus hat die Anthroposophie immer wieder erneuernde Impulse durch einzelne Anthroposophen und Anthroposophinnen gewonnen, die sich individuell und prominent für öffentliche Fragestellungen eingesetzt haben. Sie wurden und werden als solche, auch von der anthroposophischen Community, nicht immer wahrgenommen, haben aber wesentlich zur Wirksamkeit der Anthroposophie beigetragen. Ich denke da u. a. an Traute Lafrenz-Page (Aktivistin Weiße Rose), Renate Riemeck (Pädagogikprofessorin), Michael Ende (Kinderbuchautor), Joseph Beuys (Künstler), Gerhard Kienle (Arzt und Gründer der Universität Witten/Herdecke), Wilhelm Ernst Barkhoff (Gründer der GLS Bank) oder Götz Werner (Unternehmer und Gründer von dm-drogerie markt) und viele mehr.
SK: Wir haben von der AGiD aus für 2025 mehrere Initiativen geplant. Kannst Du einen Überblick geben?
MN: Die erste Initiative, die wir voranbringen, ist die Webseite Anthroposophie.de mit einführenden Texten und Videos, die anthroposophische Ansätze einem breiteren Publikum zugänglich machen. Dazu ist eine sehr konstruktive Zusammenarbeit mit Jens Heisterkamp von der Zeitschrift Info3 und dem Buchautor Wolfgang Müller entstanden.
Im Februar 2025 werden wir Menschen aus der anthroposophischen Bewegung zu einem zweitägigen Rudolf-Steiner-Festtag einladen, um gemeinsam auf die oben skizzierte Entwicklungssituation nach 100 Jahren zu schauen. Dabei geht es am ersten Tag um die Fragen: „Welche innere Beziehung haben die Teilnehmer zu Steiner und wie hat sich diese Beziehung entwickelt?“ Der zweite Tag steht unter der Fragestellung: „Welche Zukunftsaufgaben ergeben sich heute aus der Anthroposophie für die nächsten 100 Jahre?“
Die umfangreichste Initiative ist eine Großveranstaltung, die wir in der Stuttgarter Innenstadt ausrichten möchten. Dort sollen für die Gegenwart zentrale Fragestellungen der Anthroposophie thematisiert werden, beispielswiese: Wie gehen wir mit der polarisierten Gesellschaft um und was können Demokratie und die freie kulturelle Entfaltung des Einzelnen dazu beitragen? Dann planen wir einen Markplatz, auf dem Ideen und Ansätze der Anthroposophie in ihrer praktischen Wirksamkeit erlebt und erfahren werden können. Das Verbindende ist eine große Kulturbühne, auf der zahlreiche große und kleine Künstlerinnen und Künstler auftreten werden.
SK: Das Steiner-Jahr dient auch als Einladung für zahlreiche Initiativen und Veranstaltungen, die an verschiedenen Orten stattfinden können. Welche Möglichkeiten werden da von der AGiD zur Verfügung gestellt, an wen kann man sich für weitere Informationen wenden?
MN: Monika Elbert (Generalsekretärin AGiD), Christiane Heid (Goetheanum, Leitung) und David-Marc Hoffmann (Nachlassverwaltung) haben vor nun über einem Jahr den Runden Tisch für das Steiner-Jahr 2025 initiiert. Dort treffen sich unterschiedliche Menschen mit Initiativen für das Jahr 2025 vor allem im deutschsprachigen Raum. Geplant sind zahlreiche Veranstaltungen. Von Theateraufführungen bis hin zu philosophischen Kolloquien sind bereits viele Events im Entstehen. Wenn auch Sie eine Initiative haben und am runden Tisch teilnehmen möchten, können Sie gerne Monika Elbert eine Nachricht schicken: elbert. @anthroposophische-gesellschaft.org
Aus der Arbeit des Runden Tisches wird ein gemeinsamer Veranstaltungskalender hervorgehen, der als Website und als gedrucktes Leporello verfügbar sein wird, als Übersicht über die Initiativen. Wir stellen ein Medienpaket zur Verfügung mit Vorlagen für die Plakatgestaltung. Wer für seine Initiative inhaltliche Unterstützung benötigt, kann sich gerne per Mail an Monika Elbert wenden.