Verantwortung für das, wovon wir leben | Gespräch über die Zukunft der Landwirtschaft
Am 25. Juni 2024 lud der Rudolf-Steiner-Zweig Mannheim zu einem weiteren Podiumsgespräch in seiner Reihe „Anthroposophie im Gespräch“ ein. Professor Enno Bahrs von der Universität Hohenheim (landwirtschaftliche Betriebslehre) und Martin von Mackensen (Landwirt und Leiter der Landbauschule am Dottenfelderhof) sprachen über das Thema „Wovon sollen wir leben? Zukunft der Landwirtschaft“.
In diesen Gesprächen zu einem aktuellen Zeitthema sollen sich ein Vertreter bzw. eine Vertreterin der öffentlich-wissenschaftlichen und einer oder eine der anthroposophisch-fachspezifischen Seite austauschen unter Einbezug des Publikums. Das jetzt fünfte Podium brachte Veränderungen: Statt im großen Saal der Pädagogischen Akademie mit frontal ausgerichteter Bestuhlung und den Protagonist:innen weit oben auf der Bühne saßen diesmal alle im Eurythmie-Saal im Halbkreis vor dem „Podium“ auf gleicher Ebene, was die Beteiligung des Publikums erleichterte. Professor Iru Mun, Dozent am Institut für Waldorfpädagogik, übernahm nun die Moderation der von Wolfram Wessels organisierten Reihe.
In den ersten Statements der Fachleute ging es um Fragen der Nachhaltigkeit. Enno Bahrs konstatierte, dass Deutschland im weltweiten Vergleich sehr gut ausgebildete Landwirt:innen habe und mit der Nachhaltigkeit sehr weit vorangekommen sei. Aber, so Martin von Mackensen, reicht das? Er verwies auf den landwirtschaftlichen Hof als Organismus, das heißt, dass alle, die Menschen, Tiere, Pflanzen und sogar der Boden, miteinander in Beziehung stehen. Beziehung zur Natur sei mehr als Nachhaltigkeit. Dass der Boden (die Haut unserer Erde) Empfindungsfähigkeit habe und die Pflanzen brauche (eine Beziehung!), sei in Fachkreisen bereits bekannt. Leider werde nicht – vorausdenkend – danach gehandelt. Martin von Mackensen hob hervor, wie die Pflege eines Tieres oder einer Pflanze zudem einen moralischen Zugang eröffne. Er zitierte eine Einsicht von Dieter Bauer, langjähriger Pflanzenzüchter des Dottenfelderhofes: „In der Pflanze gibt es keinerlei Gewalt.“
Iru Mun stellte die Frage nach der Bedeutung der Landwirtschaft für die Pädagogik. Hier meldete sich auch das Publikum (darunter Landwirte) zu Wort: Nicht nur Hofbesuche und Land- und Gartenbaufächer in der Schule seien nötig, nein, jede Schule solle fester Partner eines Hofes sein, am besten werde der Hof eine Schule für Kinder und Erwachsene. Iru Mun provozierte mit der Aussage eines Kollegen, wonach sich aus den zwei Hauptfächern Landbau und Musik (Kunst) alle anderen Fächer ableiten ließen. Dem stimmte auch Enno Bahrs sofort zu und nannte nicht nur Latein, Physik, Chemie und Mathematik, sondern auch Informatik und künstliche Intelligenz als Bereiche, die in der Landwirtschaft erlernbar seien. Seiner Überzeugung nach müssten Kinder aber vor allem wissen und erleben, woher ihr lebensnotwendiges Essen und Trinken käme. Martin von Mackensen legte Wert darauf, dass sie auf einem Hof im Umgang mit Pflanzen und Tieren mehr Selbstverantwortung lernen könnten als in der Schule. Selbstwirksamkeit sei ein Zukunftsthema des Bildungssystems.
Angerissen wurden ferner Fragen der Welternährung, die Errungenschaften der naturwissenschaftlichen Forschung und Technik, Fragen der Volkswirtschaft zum arbeitsintensiven Öko-Landbau sowie die Balance zwischen Ertrag und Abfall im Vergleich von biologisch-dynamischer und konventioneller Landwirtschaft.
Das Gespräch in sehr offener, freundschaftlicher Atmosphäre bezeichnete Iru Mun als Anfang. Es gehe nicht um Lösungen, sondern um eine gemeinsame Arbeit an den Problemen. Ich denke, alle gingen breichert und äußerst angeregt nach Hause.
Barbara Messmer | Arbeitszentrum Frankfurt